Termin: 8. Oktober 2021, 10.30-12.00 Uhr
Dr. Ottmar Döring | Zentrum für Bildungs- und Integrationsforschung
Titel: Erkennung und Anerkennung von Kompetenzen der Zuwander*innen
Abstract: Im deutschen Arbeitsmarkt werden berufliche Kompetenzen durch formale Zertifikate signalisiert. Diese entscheiden unmittelbar über Berechtigungen im Bildungssystem und bieten Arbeitgebern bei der Rekrutierung Orientierung. Atypische Bildungsverläufe und bloße Berufserfahrung sind mit den bestehenden Zertifikatssystemen hingegen nicht gut abbildbar. Berufserfahrungen, informell erworbene Kompetenzen und selbst non-formal erworbene Kompetenzen gelten vergleichsweise wenig und werden nicht verbindlich dokumentiert, obwohl sie selbst für viele Deutsche die überwiegende Quelle ihres beruflichen Anwendungswissens darstellen. Viele wertvolle Kompetenzen sind nicht verwertbar, weil sie nicht sichtbar gemacht werden. Das einzige etablierte Verfahren für Migrant*innen, kodifiziert im so genannten „Anerkennungsgesetz“ von 2012, hebt weitgehend nur auf formale Berufsqualifikationen ab und geht damit zum Teil am Bedarf der Mehrzahl der berufserfahrenen Flüchtlinge oder auch vieler zuwanderungswilligen Fachkräfte aus Drittstaaten vorbei, auch wenn es zu einer größeren Anzahl von Anerkennungen im Bereich der reglementierten Berufe kommt. Die Voraussetzung für eine erhöhte Fachkräftezuwanderung oder eine gelungene Integration liegt daher in der Erkennung und Anerkennung auch non-formal und informell erworbener Kompetenzen, weil Migrant*innen nicht immer formale Berufsabschlüsse vorweisen können. Diese Situation wird in dem Beitrag analysiert und dargestellt. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich dieser Beitrag zudem auch mit Verfahren zur beruflichen Kompetenzfeststellung, mit denen festgestellt werden kann, was eine Migrant*in bereits kann, in welchen Bereichen er oder sie einsetzbar ist und sein möchte und wie seine oder ihre Vorbildung noch ergänzt werden muss, damit ein Berufsabschluss möglich wird.
Nadja Schmitz & Carolin Böse | BIBB
Titel: Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse im Kontext von Zuwanderung und Arbeitsmarktintegration
Abstract: Die Integration zugewanderter Fachkräfte ist eine bedeutende gesellschaftspolitische Aufgabe – gerade auch vor dem Hintergrund zunehmender Fachkräfteengpässe. Dem gegenüber steht ein Arbeitsmarkt, bei dem formale Berufsabschlüsse und Zertifikate oft der Schlüssel zu qualifizierten Berufspositionen sind. Dementsprechend gilt es, im Ausland erworbene Qualifikationen transparent zu machen, um die Zugangschancen zu qualifikationsadäquater Beschäftigung zu verbessern. Durch die Anerkennungsgesetze von Bund und Ländern wurde ab 2012 für Personen mit einem ausländischen Berufsabschluss, unabhängig von Staatsangehörigkeit, Ausbildungsstaat oder Wohnsitz, ein Anspruch auf individuelle Überprüfung der Gleichwertigkeit ihrer Berufsqualifikation mit einem deutschen Referenzberuf geschaffen. Die Nachfrage nach Anerkennung ist seit 2012 kontinuierlich gestiegen. Der Vortrag gibt einen kurzen Überblick zu den Rahmenbedingungen, fokussiert dann anhand eigener Analysen der amtlichen Statistik zum Anerkennungsgeschehen die bisherige Inanspruchnahme der geschaffenen Möglichkeiten und benennt Herausforderungen. Auch wird ein Blick auf Studienergebnisse geworfen, die darauf hinweisen, dass eine erfolgreiche Anerkennung des ausländischen Abschlusses zu Verbesserungen der Verdienst- und Beschäftigungschancen führt.
Vira Bushanska & Rebecca Atanassov | BIBB
Titel: Wege zur Gleichwertigkeit: anerkennungsbezogene Qualifizierungen in Gesundheitsberufen und dualen Berufen
Abstract: Für Fachkräfte mit ausländischen Bildungsabschlüssen spielt die berufliche Anerkennung eine große Rolle beim Zugang zu qualifikationsadäquater Beschäftigung in Deutschland. Im Zuge der Anerkennung werden aber oftmals wesentliche Unterschiede zu einer deutschen Ausbildung festgestellt, deren Ausgleich in vielen Fällen zur Berufsausübung oder Einreise nach Deutschland obligatorisch ist. So ergibt sich ein erheblicher Qualifizierungsbedarf. Doch wie genau können diese Unterschiede ausgeglichen werden? Wie gestaltet sich das Angebot an entsprechenden Maßnahmen? Welche Herausforderungen bestehen im Hinblick auf Qualifizierungsmaßnahmen für ausländische Fachkräfte, Bildungsanbieter und sonstige beteiligte Akteure? Zur Beantwortung dieser Fragen führte das BIBB-Anerkennungsmonitoring im Jahr 2020 Interviews mit Bildungsanbietern, zuständigen Stellen, Projekten des Förderprogramms „Integration durch Qualifizierung“, Arbeitgebern und anderen Akteuren mit Fokus auf die antragstärksten reglementierten Berufe im Gesundheitsbereich (Ärztinnen/Ärzte und Gesundheits- und Krankenpfleger/-innen) sowie im nicht reglementierten Bereich (IHK- und HWK-Berufe). Einzelne Ergebnisse der noch unveröffentlichten Studie werden in der Session vorgestellt, um im Anschluss mögliche Lösungsansätze für die aufgezeigten Herausforderungen zu diskutieren.
Dr. Ilka Sommer | Universität Duisburg-Essen
Titel: Was ist eigentlich das Problem am Problem der beruflichen Anerkennung? Eine soziologische Perspektive auf Globalisierung, Migration, Ungleichheiten und symbolische Macht
Abstract: Die berufliche Anerkennung in Deutschland gilt als ein hochkompliziertes Spezialthema, das sich noch mal in unendlich viele Unter-Spezialthemen (z.B. einzelne Berufsgesetze, Bundesländer, Sprachprüfungen, Qualifikationsanalysen, Anpassungslehrgänge etc.) aufgliedert. Kaum jemand in Wissenschaft, Politik und Praxis (einschließlich meiner selbst) kann von sich behaupten, sich vollumfänglich auszukennen, aber fast alle wissen: es ist kompliziert und es ist wichtig. Für Zuwandernde und Geflüchtete ist es in der Regel eine existenzielle Frage, ob ein im Ausland erworbener beruflicher Abschluss anerkannt wird. Für Arbeitgeber verzögert sich die Einstellung von Fachkräften aus dem Ausland, weil die berufliche Anerkennung lange braucht und nie ganz absehbar ist, ob sie am Ende erfolgreich sein wird. Sowohl sozial- als auch wirtschaftspolitisch ist die Arbeitsmarktintegration von Eingewanderten gemäß ihrer Qualifikation ein Gewinn. Warum bleibt das Thema dann trotzdem weiterhin ein Problemthema? Der Beitrag stellt eine soziologische Perspektive auf die Anerkennungsproblematik vor, die sozialtheoretisch geleitet auf Basis qualitativer Interviewdaten entwickelt wurde. Dabei geht es um einen Versuch, die Kategorien und Referenzrahmen der Wahrnehmung dieses Themas zu verschieben, indem etablierte Sichtweisen auf die Problematik hinterfragt und kritisiert werden. In Erweiterung der Soziologie Pierre Bourdieus betrachte ich staatlich anerkannte Qualifikationen als ein soziales Konstrukt, das nicht objektiv vorhanden oder eben nicht vorhanden (bzw. gleichwertig oder nicht gleichwertig) ist, sondern unter globalen Machtverhältnissen transnational ausgehandelt wird. Der Wert einer Qualifikation wird zum Beispiel nicht nur in Deutschland bestimmt, sondern hängt ganz entscheidend auch an der Art der Beziehung Deutschlands zu den jeweiligen Ausbildungsstaaten und dem dadurch gegebenen oder nicht gegebenen Vertrauen in das jeweilige Ausbildungssystem. Gleichzeitig prägt die Anerkennungspraxis die internationalen Beziehungen und den Grad des Vertrauens auch mit. Eine erfolgreiche Anerkennung einer bestimmten Qualifikation aus einem bestimmten Land zieht ähnlich gelagerte Anträge, z.B. von ehemaligen Kommiliton:innen nach sich. Eine fehlende Anerkennung setzt nicht nur das Individuum in seinem Wert zurück, sondern auch die gleich ausgebildeten Kommiliton:innen und das jeweilige Ausbildungsland. Diese und andere relationale Thesen zur Relevanz von Machtverhältnissen und Selektionsmechanismen stelle ich im Beitrag näher vor und lade dazu ein, sie nicht vorrangig in einem politischen, rechtlichen oder ökonomischen Referenzrahmen zu deuten, sondern genuin soziologisch: als Auseinandersetzung mit dem Bewerten von Eigenem und Anderem innerhalb von globalen sozialen Strukturen, die wir uns alle nicht ausgesucht haben. Ziel ist es deutlich zu machen, dass es sich bei der beruflichen Anerkennung nicht um ein Spezialthema handelt. Es verweist auf das soziale Kernproblem, das uns Menschen ungleichwertig und unfrei macht.