"Bei der Ankunft ist der Kopf eines Flüchtlings wie ein Glas gefüllt mit Sorgen, Problemen und Ängsten. [...] Es braucht Zeit, in diesem Glas etwas Platz zu schaffen." (Marjan Zokaei)

Marjan Zokaei arbeitet als Flüchtlingsbegleiterin beim Frauen- und Mädchen- Gesundheitszentrum MEDEA e.V. in Dresden. Sie wird begleitet durch die Arbeitsmarktmentor*innen des ARBEIT UND LEBEN Sachsen e.V. in Dresden.

Bitte stellen Sie sich kurz vor.

Mein Name ist Marjan Zokaei und ich komme aus dem Iran. Seit drei Jahren bin ich in Deutschland, und lebe mit meinem Sohn in Dresden. Meine Muttersprache ist Farsi, ich spreche auch Englisch und ein bisschen Arabisch. Ich habe im Iran Ökonomie studiert und die Fachrichtung ist wirtschaftliche Entwicklung und Planung. Das Studium beinhaltet sowohl Fächer wie Politologie, Soziologie, Philosophie, Statistik und Mathematik. Bereits während des Studiums wurde mein Interesse für sozialwissenschaftliche Bereiche und die Rolle der Frauen und Mädchen in der Gesellschaft geweckt. Deswegen begann ich im Iran als Lehrerein in einer Mädchenschule zu arbeiten. Ich war auch in wissenschaftlichen Projekten zu Stärkung der Lebenssituation – Stellung der Frauen in der Gesellschaft beteiligt. Als freie Mitarbeiterin eines Verlags arbeitete ich als Lektorin und Redakteurin. Seit August 2018 arbeite ich bei MEDEA International.

Wie haben Sie den Weg zu den Arbeitsmarktmentor*innen für Geflüchtete gefunden?

Ich bekam eine Empfehlung von einem Bekannten über den Verein ARBEIT UND LEBEN. Er berichtete mir über einen farsisprachigen Mentor bei diesem Verein, der einem beim Erfassen von Lebensläufen, Bewerbungen etc. helfen kann. Da ich jedoch auch Englisch spreche, entschieden wir uns, dass der Mentor seine freien Kapazitäten lieber nur für Farsi sprechende Flüchtlinge vorbehalten sollte. Mir imponierte gerade in diesem Fall die klar konzipierte Arbeitsteilung.

ARBEIT UND LEBEN ist sehr bemüht, in einem Netzwerk zu arbeiten. Es gibt immer eine Vertretung, wenn z.B. meine Mentorin im Urlaub war, waren die Kollegen trotzdem bereit, mir zu helfen. Bei dringenden Problemen war man bemüht auch ohne vorherige Terminvereinbarungen ein Treffen zu ermöglichen, um schnellstmöglich das Problem lösen zu können. Denn alles ist neu und fremd, man braucht wirklich Unterstützung, um die Arbeit zu festigen. Man merkt, dass man nicht nur eine Nummer im System ist für die Statistik.

Parallel zu den Bemühungen des Vereins bei einer Arbeitsvermittlung, fing ich 2016 an ehrenamtlich bei MEDEA International zu arbeiten. 2018 erhielt ich von MEDEA International ein Angebot eingestellt zu werden. Sie waren sehr daran interessiert eine Mitarbeiterin mit Migrationshintergrund und Erfahrung in ihrem Team aufzunehmen. Mit Hilfe meiner Mentorin von ARBEIT UND LEBEN verfasste ich einen Lebenslauf und ein Bewerbungsschreiben für MEDEA International. Durch ihre Ratschläge und Empfehlungen konnten wir meine vielfältigen Arbeitsbereiche im Iran und Fähigkeiten im Leben tabellarisch gut darstellen. Insgesamt dauerte das Verfassen der Unterlagen mehr als zwölf Stunden. Ihre Geduld und ihre Flexibilität beeindruckten mich sehr. Mit diesen Unterlagen konnte ich mich auch für andere Arbeitsstellen bewerben und erhielt auch mehrere Jobangebote. Ich identifiziere mich jedoch mit meiner Arbeit bei MEDEA International und fühle mich dort sehr wohl.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Ich bin als Flüchtlingsbegleiterin bei MEDEA International tätig. Für mich ist es nicht nur ein Job, sondern eine Lebensaufgabe. Hilfe zur Selbsthilfe, das Stärken von Frauen, Orientierungshilfe und Informationen, Beratungen und Kurse für Frauen sind Ziele und Bestrebungen meiner Arbeit im Rahmen des Arbeitskonzeptes von MEDEA International. Für mich ist es sehr wichtig den geflüchteten Frauen und Mädchen die oben genannten Ziele zu erklären, sie beim Erlernen und Verstehen dieser Ziele zu begleiten. Es ist für mich eine große Herausforderung, Migrantinnen, Asylbewerberinnen (Frauen, Mütter und Mädchen) über Gesundheit, Verhütung und bewusste Ernährung zu informieren. Ihnen bei Alltagsproblemen zur Seite zu stehen. Aufgrund meines eigenen Migrationshintergrundes und meinem Interesse an Frauen und ihrer Gesundheit und Integration hier in Deutschland, kann ich zu den Frauen sehr schnell einen Kontakt aufbauen und ihr Vertrauen in unsere Arbeit gewinnen. Zusammen mit den Kolleginnen konnte ich neue Wege bestreiten, um das Interesse der Frauen zu erwecken. Wir können glücklicherweise beobachten, dass immer mehr Frauen zu MEDEA International kommen. Ihr Vertrauen ist uns sehr wichtig. Zunehmend können Frauen mit mir, aber auch mit anderen Mitarbeitern über ihre Probleme sprechen und sich uns gegenüber öffnen.

Es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen für geflüchtete Menschen. Sie müssen sich nicht nur mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, sondern müssen gleichzeitig eine Fülle an neuen Informationen, Aufgaben und Problemen verarbeiten. Komplizierte Vorgänge bei den Aufenthaltsbestimmungen, Bürokratie, Suche nach Wohnung, Deutschkurse, Kindergarten, das Erlernen der Kindererziehung und Kennenlernen des Gesundheitssystems in der neuen Heimat sind nur einige wenige Beispiele. Bei der Ankunft ist der Kopf eines Flüchtlings wie ein Glas gefüllt mit Sorgen, Problemen und Ängsten. Es gibt keinen Platz für neue Informationen oder zum Deutsch lernen. Es braucht Zeit, in diesem Glas etwas Platz zu schaffen. In Deutschland wird sehr viel in Integration investiert. Damit jedoch Ressourcen absolut sinnvoll genutzt werden können, ist es wichtig, sich nicht nur auf Zahlen und Statistik zu verlassen. Die genaue Analyse der Bedürfnisse und Fähigkeiten der Hilfesuchenden ist sehr wichtig. Vereine wie z.B. Frauen- und Mädchen- Gesundheitszentrum Medea e.V. und ARBEIT UND LEBEN Sachsen e.V. können einen immensen Beitrag dazu leisten.

Auch kleine Schritte können große Hilfestellungen geben. Wir haben z.B. bei MEDEA eine Telegrammgruppe gegründet, um in engem Kontakt mit unseren Klientinnen zu bleiben. Da einige Frauen nicht Lesen und Schreiben können, benutzen wir nur Sprachnachrichten. Dadurch sind wir für alle ansprechbar und niemand fühlt sich ausgegrenzt. Wir können damit auch das Anliegen des Vereins diesen Frauen nahebringen, sie an Veranstaltungen erinnern und über Neuigkeiten informieren.

Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft?

Ich möchte weiterhin im sozialen Bereich tätig sein und dabei vor allem Frauen und Flüchtlingen helfen. Meine Arbeit bei MEDEA International unterstützt mich dabei.